Eines Tages hatten sich in der Welt zwei Menschen gefunden. Sie lebten nicht weit voneinander entfernt und hatten sich nicht gesucht, aber sich dennoch gefunden. Sie kannten einander und wussten voneinander, ohne jedoch viel miteinander zu tun zu haben. Das Schicksal mag sie zusammengeführt haben.
Der eine der beiden war der reichste Mann der Welt, der andere der Mächtigste.
Niemand wusste mehr genau, wie der eine zu seinem Reichtum und der andere zu seiner Macht gekommen war. Eines Tages war es einfach so, man konnte es auf den Bildschirmen, die im Begriff waren Bücher und Zeitungen zu ersetzen sehen, und die Menschen lebten damit und fragten sich auch nicht.
Es war auch egal. Die Beiden waren Menschen, die man ablehnen oder bestaunen konnte, und beide waren nur in geringem Maß auffällig oder gar unangenehm.
Aber das sollte sich bald ändern. Als sich die beiden zusammengetan hatten, entdeckten sie, dass sie ihre Ziele gemeinsam viel leichter und viel schneller erreichen konnten. Denn ihre Ziele waren einfach, geradezu simpel. Der eine wollte noch reicher, der andere noch mächtiger werden. Und was man mit Geld nicht erreichen konnte, war mit Macht möglich. Und umgekehrt. Was trotz Macht unerreichbar blieb, konnte mit Geld möglich gemacht werden, solange man von beidem unbegrenzte Mengen zur Verfügung hatte. Schnell hatten sie gelernt, daß man Drohungen ausstoßen, oder aber Meinungen mit Geld kaufen konnte. Beides konnte ihren Einfluss vergrößern. Und da man damit immer mächtiger und immer reicher wurde, hatte man auch nichts zu befürchten.
So wurden Ihre Forderungen an die Welt immer abstruser und die Meinung der Menschen waren zweigeteilt: Die einen fanden das gut, verstanden aber nichts, und diese Gruppe wurde immer größer. Die anderen aber verstanden auch nichts und waren gegen alles.
Das Märchen vom Fischer und seiner Frau, das die Menschen einst in der Schule gehört hatten, war längst vergessen. Manche der Alten kannten noch den Reim daraus:
»Mantje, Mantje, timpe te, Butje, Butje in der See …«
Die Technik hatte begonnen, den Geist zu überflügeln. Gott und die Schöpfung wurden in Frage gestellt und man fing im Geheimen an, Menschenwesen nach eigenen Vorstellungen zu züchten. Und man versuchte auch, die Gehirne der Menschen durch subtile Technik von außen zu lesen und zu steuern.
Und die Macht wuchs. Schon hatten auch andere die Entwicklung erkannt und versuchten, den beiden den Rang streitig zu machen oder aber, sich in deren Dienst zu stellen. Der Wettlauf der Giganten begann. Reichtum, Macht und Wissen traten in grotesken Bündnissen zusammen oder traten auch gleichzeitig gegeneinander an, wobei jeder danach strebte, so viel als möglich von den drei Elemente zu besitzen. Tausch und Gegengeschäfte setzten ein und wechselten sich mit Verrat, Raub und Diebstahl ab. Schon waren es nicht mehr nur die beiden, die sich anfangs zusammengetan hatten, um die Welt zu beherrschen. Es kam ein weiterer hinzu, dann noch einer, aus vier wurden fünf und sechs, dann sieben.
Ein viertes Element trat hinzu, das für alle immer bedeutender wurde. Es war die Gier. Sie war grenzenlos und mächtiger als die Elemente Macht und Reichtum. Sie ließ Ehre, Achtung und Anstand nacheinander verschwinden und vergessen werden. Zuerst vor der Schöpfung und der Natur, dann vor den anderen Menschen, und zuletzt auch vor der eigenen Seele.
In Namen der Gier wurde der Natur Gewalt angetan, sie wurde verletzt, verschmutzt und ausgebeutet. Die Pole begannen zu schmelzen, das Klima veränderte sich. Schließlich antwortete die Erde mit Sintfluten, Seuchen bei Mensch und Tier, Vulkanausbrüchen und Feuersbrünsten. Der Garten Eden begann, die lästig gewordenen Parasiten abzuschütteln.
Und dann war aus der Tiefe der wild gurgelnden See des Fischers Vers zu hören:
»Mantje, Mantje, timpe te, Butje, Butje in der See,
meine Frau, die Ilsebill,
will nicht so wie ich wohl will …«
Der Rachen der See öffnete sich weit. So weit, wie man es noch nie gesehen hatte. Alles verschwand in ihrem schwarzen Schlund.
Die Erde atmete auf. Die in Sekunden zu messende Zeitspanne ihrer Besiedlung war Geschichte geworden.
Hermann M. Weil, Januar 2025
Hermann M. Weil ist Unternehmer und Autor. Mehr über ihn und seine Bücher gibt es auf seiner Website.
